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Materialien zu
JE-KA-MI Oder Dein Glück ist ganz von dieser Welt

[ Diese Seiten sind im Aufbau. Redaktion: M. Knauer attacca.web@bluewin.ch ]

 

Roman Hollenstein beim Drehen

R.H. beim Drehen von «Freut euch des Lebens»

Synopsis von Roman Hollenstein

Je ka mi oder Dein Glück ist ganz von dieser Welt

Das grosse Rennen nach dem versprochenen Glück oder auf der Suche nach dem verlorenen Paradies Fitness ist ein Begriff dafür. Warum? Der Mensch steht heute am Abgrund, er ist hoffnungslos krank. Hoffnungslos? Er hat gesündigt also wird verkündet und ein gigantischer Apparat in Bewegung gesetzt, damit er in der Freizeit freudbetont keuche und arbeite, sich bewege und büße, um seine Aufgaben weiterhin gläubig erfüllen und sich den gegebenen Streß-Situationen anpassen zu können - und sich weiterhin unvermindert schädigen lasse. Ein Film über ein Massenphänomen und über Methoden der Anpassung: von Freikörperkultur bis zur roboterhaften Körperertüchtigung. Mens sana in corpore sano... doch das Glück rennt hinterher.
(Programmheft Solothurner Filmtage 1978)

 

Literatur

Niklaus Ingold: Fitness als Glück? Gesundheit, Umbehagen und kein Sex im Film JE KA MI
in: Stress und Unbehagen. Ed. Stephanie Kleiner, Robert Suter
o.J. (2018), o.O. (Berlin, Neofelis), pp.99-126.
ISBN 978-3-95808-041-6


Pressestimmen

... dein Glück ist ganz von dieser Welt

«Je Ka Mi...» – Roman Hollensteins letzter Film

Martin Walder, Neue Zürcher Zeitung, 10. März 1978

Im letzten Oktober hat sich der Filmemacher Roman Hollenstein 35 Jahre alt das Leben genommen – kurz vor Fertigstellung seines zweiten langen Dokumentarfilms, den Georg Janett für ihn zu Ende montiert hat. Der Film heißt «Je Ka Mi oder dein Glück ist ganz von dieser PlakatWelt», und dass der Titel nun natürlich sogleich auf Hollensteins Tod verweist, ist richtig. Vordergründig wohl eine dokumentarische Variationenschau zum Thema «Fitness» und zu seinen Ideologien, ist «Je Ka Mi ...» schließlich eine verzweifelt raffinierte, aggressive Abrechnung, die einem wiederholt übel macht mit Bildern und Tönen, die selbst vor den als Opfer gezeigten Menschen nicht mehr Respekt wahren, sondern sie als gesundheitssüchtige Produkte einer krankmachenden Welt mitunter pietätlos vor der Kamera festnageln.

In seinem Porträt dreier leicht behinderter Männer, die sich an den Normen des «Normalen» wundscheuern, hatte Roman Hollenstein in «Freut euch des Lebens» ebenfalls Opfern nachgespürt, hatte er sich mit seiner filmischen Sensibilität ganz ihrer Erlebniswelt genähert und ihnen als vollen Ernst und Würde erheischenden «Hauptdarstellern» eine Sprache gegeben. «Je Ka Mi» bringt diesen Respekt des Dokumentaristen nicht mehr auf; hier hat der Filmemacher mit böser Brillanz den Fitnesskult als gesellschaftliches Phänomen ausgeweidet, um seinen Ekel vor einer in ihren Extremen unmenschlichen Art «Gesundheit» dieser Welt dingfest zu machen. «Je Ka Mi» zieht den schockierten Zuschauer weniger in eine Auseinandersetzung als in einen Pfuhl, dessen Darstellung den Begriff des landläufig «Dokumentarischen» verläßt und gar nicht erst so tut, als gäbe es eine nicht inszenierte Darstellung von Wirklichkeit durch das wirklichkeitsnächste Medium Film.
Spielerische Freude am Sport oder auch die wohlbegründete Unruhe vieler Leute und ihre Bemühungen um einen körperlichen oder körperlichseelischen «Unterhalt» werden innerhalb des Films zu dem, was sie wirklich tun (mögen sie es vielleicht auch ganz anders empfinden), nicht in eine nachforschende Dialektik gesetzt; für den Zuschauer aber sticht aus der aufwühlenden Wirkung dieses Films die Sorge, die viele beschäftigt: wofür und wogegen und vor allem auch wie sie sich bei Kräften, als Menschen am Leben erhalten wollen. Roman Hollensteins Antwort ist in einem Horrorbild gelandet – was ihn selber betrifft: in tödlicher Absage.

Seine Recherchen durch die Gesundheitssehnsucht führen durch abgeklärten Vulgär-Darwinismus und alten, nackten «Kraft durch Freude»-Geist im Naturistencamp, führen empor in die blaue Fitnessferienluft der Berge, wo piepsende Pulsmesser das Glück in Gottes freier Natur überwachen, sie leiten täuschend hinein in duftige Photoprospekte von Wald, vor denen dann auf Fitzteppichen straffe Ertüchtigung ins Kamerablickfeld gerät, sie gucken auch in ausgeklügelte Apparaturen, aus deren Federn, Gestängen, Gewichten Muskeln schwitzen und Adern quellen. Hollenstein hat in Bürofluren und in Fabrikhallen beobachtet, wo während kurzer (als Arbeitszeit gerechneter) Fitnessminuten Arbeiter und Direktor gemeinsam «nur Menschen» sein dürfen, er filmte die Volksolympiade, den Lemmingsrun des Engadiner Skimarathons, ist unbarmherziger Voyeur beim Altersturnen und blendet zurück ins traute Heim, wo man sich an computergesteuerten Fitnessgeräten jene «hundert Dynafit» antrainiert. mit denen der Verkäufer «das Leben» beginnen läßt...

Für Roman Hollenstein freilich endet solch ertüchtigtes Leben nur an eintönigen Arbeitsplätzen, im Betondunkel monströser Wohnburgen, kurz: in einer verseuchten Weit (für die am Ende der Kaminklotz von Gösgen als Symbol herzuhalten hat). Auch schafft der durchorganisierte, kommerzialisierte und ideologisierte Drang nach Gesundheit, nach Erhaltung nicht einmal Inseln, sondern nimmt den Sport in irgendeiner Weise gleich wieder in die Zucht, spiegelt eben nur die Gesetze der Verschleißwelt verbrämt oder auch unverbrämt. Der Welt, wie sie hier vorgeführt wird, ist gar nicht mehr zu entrinnen, auch wenn sie durchaus nicht als eine schicksalsgegebene hingestellt ist. ihr Kreislauf von Streß und Therapie im Gegenstreß erscheint verrückt, aber hermetisch. Es ist durchaus eine Art Science-fiction-Welt – der Film sollte denn auch einmal den Titel «1983½» tragen: ein halbes Jahr also vor «1984. Hollenstein scherte sich nicht mehr einfühlend um Verständnis, nicht um einen wohlgeordneten Aufbau, sondern stellt wütig zur Schau, immer wieder, aufreizend ermüdend. Seine Provokationen sind Schwäche und Stärke des Films; sie abzuwehren lassen sich Gründe finden. Es bleibt dem Zuschauer aber, genau zu prüfen, wogegen er sich in seiner Betroffenheit wehrt; an «Je Ka Mi» kommt man schlecht vorbei. (City, Zürich)

 


Aus der Schweizer Fernsehgeschichte

Brief des damaligen Programmdirektors Ulrich Kündig betreffend die Ablehnung einer Ausstrahlung des Films durch das Schweizer Fernsehen.
(Als PDF herunterladen: 102 kB, hochauflösend auf Anfrage.)

Cf. [Bernhard Giger] Nicht für das Fernsehen. Warum Roman Hollensteins Film «Jekami» nicht ausgestrahlt wird. Der Bund, 27.12.1980



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