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Filmkollektiv Zürich: Zur Geschichte
MATHIAS KNAUER
Einiges aus den Anfängen der Filmcooperative (1992)
Viele Kinogänger, die sich heute für Dokumentarfilme und radikale Fiktionen begeistern und im Kino den Verleihvorspann "Filmcooperative Zürich zeigt ..." lesen, sind ganz überrascht, wenn sie von den politischen Wurzeln der Cooperative hören, die in der politischen Bewegung der siebziger Jahre liegen. Jahre sind vorübergegangen, und im Kampf ums Überleben, geleitet vom Pragmatismus, der schon zur Zeit der Gründung ein Charakterzug der Filmcooperative war und sie von den meisten anderen Verleihgruppen rund um die Schweiz unterschied, sind einige der Ziele ihrer Gründer verschüttet worden.
Es ist, nach zwanzig Jahren, doppelt interessant, in jene Zeit zurückzublicken: Einmal auf der Suche nach den politischen Intentionen jener ersten Jahre, dann aber auch, um nachzudenken über den politischen Prozeß, in dem wir stehen und der immer noch nicht abgeschlossen scheint.
"v. Stapo ZH: Im Zeitdienst vom 21. 4. erschien ein Artikel zur Gründung der 'Filmcooperative Zürich'. Die Zielsetzung dieser S.F.K. ist in der gleichen mitgelieferten Broschüre bestens umschrieben. Die S.F.K. hat das gleiche Postfach wie DAF (Der andere Film). Verantwortlich dafür zeichnen MORACH Michael 39 und BACCHETTA Marilena 44. Beilagen." (Aus der Bupo-Fiche über die Filmcooperative, Eintrag vom 3. Juli 72)
Die Bundes-Fiche bringt es auf den Punkt: Die Filmcooperative war eine Initiative von Michele Morach, des treibenden Kopfes im Zürcher Filmclub Der andere Film. Dieser begann ab Herbst 1968 im Kino Étoile mit Sonntagsmatineen, die sich in die aktuellen politischen Diskussionen einmischten, zu operieren - der erste Film war übrigens Buñuels "Los Olvidados" -, und er löste bald einmal den traditionsreichen Filmclub Zürich ab. Anfang Oktober 1971 reifte der Plan, einen kleinen Filmverleih aufzubauen. Die Idee war, die damals meist mit großem Aufwand aus dem Ausland eingeführten Filme in der Schweiz einem weiteren Publikum zugänglich zu machen.
Rund um die Schweiz hatten sich nach 1968 alternative Filmverleihe gebildet, meist als kulturelle Frontorganisation politischer Gruppierungen oder auch einer Partei. Ausgehend von Paris (Cinéthique, Iskra u. a.), basierten sie auf einer politischen Theorie der Filmvorführung - nicht mehr das cinéphile Erlebnis sollte im Vordergrund stehen, sondern ein politischer Erkenntnisprozeß, der von den Filmen und den sich daran entzündenden Diskussionen in Gang gesetzt wird - der Film als Waffe im politischen Kampf.
Es war die Zeit des Protests gegen den Vietnam-Krieg, der Agitation gegen die Ausbeutung der Dritten Welt, der Solidaritätskampagnen für die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA und für die Rechte der Flüchtlinge und des Volkes von Palästina - also die Themen, die für die internationale Studentenbewegung zentral waren. Und so war auch der Blick von DAF und FCZ keineswegs provinziell: Selbstverständlich war, die Statuten 1972 sofort ins Italienische und Französische zu übersetzen, denn auch die ersten Genossenschafter stammten aus allen Landesteilen.
In der Schweiz ließen die Filme, die sich bewußt in den Aufbruch jener Jahre einschrieben, zunächst noch auf sich warten. Unser einziger "68er-Film" war Jürg Hasslers "Krawall", gedreht ganz aus der parteilichen Perspektive der Bewegung. Er wurde denn auch der wichtigste Film, an dem jene Idee der begleiteten Filmvorführung in der Cooperative sich entwickeln konnte. In unzähligen Projektionen engagierter Filmcoopi-Aktivisten wurden so die aktuellen politischen Themen, Imperialismus und Sozialismus, diskutiert und die politischen Konzepte und Parolen der Bewegung ins Land hinausgetragen. Und zum Rüstzeug eines solchen Filmvorführers gehörte nicht nur, daß er sich als Agitator kompetent zu den Stoffen der Filme äußern und damit die Diskussion anregen konnte, sondern ebenso die Fähigkeit, eine technisch perfekte Projektion zu liefern: Dazu erhielten wir im Winter 72/73 bei der Firma Kinotechnik einen ausgezeichneten Operateurenkurs.
Etwas anders aber als bei den meisten befreundeten Kollektiven im umliegenden Ausland, war die Filmcooperative recht pragmatisch konzipiert: Die Genossenschaft sollte nicht das Sprachrohr einer bestimmten politischen Tendenz, sollte weder an China und dem Maoismus noch einem "revisionistischen" Kurs orientiert sein.
Es war gewiß die besondere Stärke der FCZ, daß sie versuchte, die wenigen Kräfte in unserem kleinen Land zusammenzufassen; und es scheint nicht verwegen, darin einer der wichtigsten Gründe dafür zu sehen, daß es sie heute noch gibt.
Als Name für die Genossenschaft war zuerst "Swisscoop" vorgesehen, was aber das Handelsregisteramt nicht akzeptierte. In einem Protokoll vom Februar 1972 liest man zur Frage des Namens:
"Zwischen den beiden Favoriten 'Sozialistische Filmcooperative' und 'Filmcooperative Zürich' hat es viele andere Vorschläge gegeben (Zürcher Film-Coop, Genossenschaft Roter Film, Basis-Film-Genossenschaft usw.). Es wurde schließlich der Fi)mcooperative Zürich den Vorzug gegeben, weit man fand, daß in erster Linie die Praxis und nicht der Name der Genossenschaft den sozialistischen Charakter tragen müsse; außerdem verspricht man sich von einem neutraleren Namen Vorteile im Verkehr mit den Behörden, das heißt, zumindest weniger Schwierigkeiten."
Zwar trugen die Prospekte, mit denen nach der Gründung Genossenschafter geworben wurden, noch den Titel "Eine sozialistische Filmcooperative als Alternative", doch weder die Gründungs-Statuten (formuliert im Januar 1972) noch die "Gründungsplattform" vom Herbst 1972 enthielten parteipolitische Optionen. Einig waren sich immerhin alle, daß wir den Standpunkt des Proletariats einzunehmen haben. Nicht zuletzt aus taktischen Gründen - angesichts der politischen Repression nach 1968 - hatte man als Zweck der FCZ "Beschaffung und Verleih von zeitkritischen und künstlerisch wertvollen Filmen" festgelegt.
Die Gründung der Filmcooperative basierte wie Der Andere Film auf einer politischen Idee, sie wurzelte wie dieser aber auch in der Filmclubtradition, die immer ästhetische und politische Avantgarde als eine Einheit verstanden hatte.
Im Sommer 1972 fanden dann neben den zunehmenden Vorführaktivitäten die entscheidenden Prozesse statt. Ein Zimmer in Morachs Wohnung an der Kanzleistrasse 115 war das erste Büro; von der eben zu Tode reorganisierten Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich hatte wir eine IBM-Kugelkopfmaschine und einen der beiden Gestetner Wachsmatrizenvervielfältiger (zudem auch ein wenig typographische Kultur) geerbt. Sitzungen über Sitzungen fanden statt, Papers zur Organisation, Papers zu Schulungskursen wurden geschrieben, mit denen wir das Manko an kulturpolitischer Erfahrung und an Filmbildung in den Griff zu bekommen suchten. Ein erstes Prospektblatt mit elf zum Teil halblegal importierten Filmen im Verleih wurde vervielfältigt (der erste gedruckte Katalog ist erst 1974 in Solothurn verteilt worden).
Eine Aktivisten-Gruppe ergänzte den Vorstand und trug die praktische Arbeit, verlor sich aber in Grundsatzdiskussionen, bis 1973 der erste Vorstand durch einen Putsch ins Abseits gestellt wird: Donat Keusch übernimmt die Führung und bringt Dynamik in das kleine Unternehmen. 1973 zieht die FCZ an die Gartenstraße - in einen muffigen früheren Vorführkeller der Rincovision.
Vor vier Jahren, als man sich zum zwanzigsten Jahrestag an 1968 erinnerte, fragte man natürlich auch nach den Schweizer Filmen zur Studentenbewegung. Da wurde einem bewußt: es bedurfte einer Inkubationszeit von einigen Jahren, bis auch bei uns Filme von Gewicht auftauchten, die man als den Ausdruck jenes Aufbruchs begreifen kann. Wie in Frankreich, Italien und Deutschland waren die meisten Filme, die direkt unter dem Eindruck des Geschehens entstanden sind, schwach gewesen, und "Krawall" erschien erst 1970 zu den Solothurner Filmtagen, zweieinhalb Jahre nach dem Globuskrawall im Juni 1968. Sonst hatten nur wenige Filmer den Kreis des "Nonkonformismus" der 60er-Jahre überschritten, in verschiedener Weise etwa Peter von Gunten mit "Bananera Libertad" oder Francis Reusser mit "Biladi, une révolution", die wir beide im Winter 70/71 im DAF sehen konnten - doch aus der Sicht der Cooperative waren die meisten Filmer "schwankende Gestalten", die man erst dazu bringen mußte, für die Praxis brauchbare Filme zu liefern.
1974 begannen Schweizer Filmemacher sich dann aber von selbst der Filmcooperative anzunähern - zuerst Robert Boner, der 1973 die Verleih- und Verkaufsrechte an seinem Kurzspielfilm "Arbeiterehe" unentgeltlich auf die FCZ übertrug; dann Richard Dindo (mit "Schweizer im Spanischen Bürgerkrieg" und dem in Zusammenarbeit mit der Cooperative produzierten "Die Erschießung des Landesverräters Ernst S."), Hans Stürm ("Ein Streik ist keine Sonntagschule"). Und 1975 produzierten wir einen ersten Interventionsfilm über Kaiseraugst.
Das alte Postulat der Gründungsstatuten, die Filmcooperative wolle im Rahmen des Möglichen auch die Produktion fördern, rückte in Sichtweite - erreicht war auf jeden Fall die Rückkoppelung der Verleih-Erfahrungen zu den Autoren, die selber sich zum Teil engagiert bei der Vorführarbeit betätigten.
Mit diesem Prozeß und einer rasch sich erweiternden Palette von Filmen hat die FCZ sich als ernstzunehmender Verleih profiliert und trat ins Stadium der Professionalisierung ein.
[Aus der Jubiläumspublikation der Filmcooperative Zürich von 1992]